Heinrich hat seinen Deutz dort abgestellt, wo er Gebhard hinter dem Zaun bei den Ziegen sah. Jetzt stehen die beiden erst mal am Zaun und klönen. Ach ja… die Ostwiese beim Graben. Ein Volvo kommt am Schlepper nicht vorbei, hält, die Tür wird geöffnet und der Fahrer steigt aus. Stellt sich dazu. Schönes Wetter heute und bei Karl seiner Scheune ist ein Stück Regenrinne heruntergekommen. Das kann länger dauern, also steigt die Gattin auch aus. Ihre Tür aus ehrwürdigem Schwedenstahl knarrt und will mit Nachdruck geschlossen werden. Egal wenn sie einen halben Meter geöffnet bleibt. Der schmale Weg ist nun ohnehin gesperrt.
Der Boston-Marathon und seine Bilder? Die kommen in der Tagesschau, wenn das Licht aus den Fenstern scheint und nicht vom Himmel. Hier hat man seine eigenen Toten. Der alte Braunschweig ist tot und zwei Tage später ist ihm der Peters gefolgt. Es ist Frühling, der Schnee endgültig verschwunden. Da sterben die Alten. »Wie die Fliegen« sagt Heinrich. Er sieht in die Runde und spuckt bekräftigend auf den Boden. Die Frau tut so, als hätte sie es nicht bemerkt und sieht angestrengt in Richtung Kirche. Von dort hört man die Glocken und alle sehen auf die Uhr. Der Hund des Nachbar steht am Zaun und beginnt zu bellen. Kurz darauf das Echo ein paar Häuser weiter der nächste, dann schon aus der Ferne. »Wie die Fliegen« wiederholt Heinrich.
Das mit dem Braunschweig hat er ja kommen sehen. Soviel, wie der immer gesüppt hat. Rotwein mit Vorliebe, obwohl das ja eigentlich gut gegen Herzkasper sein soll. Da kommt dann doch der Tierarzt in Gebhard zum Vorschein. »Ja, aber nicht 4 Liter am Tag! Wenn man damit überhaupt hinkommt«. Nun ist er jedenfalls tot. Sein Gesicht war selbst auf der Bahre immer noch etwas rot. Jedenfalls bildeten sich alle ein, das gesehen zu haben. Klappe zu und ein paar Schaufeln Sand obendrauf. Die fahlen, wachsbleichen Hände hatten sie ihm auf dem Leib gefaltet. Als hätte er jemals eine Kirche von innen gesehen.
Den einen Attentäter in Amerika haben sie ja totgeschossen. Den anderen fast. Leider. Heinrich sieht das pragmatisch, Gebhard ist bei der SPD. Da wird nicht totgeschossen. Bei der Partei von Heinrich auch nicht, aber dann wäre jetzt Ruhe. Na ja: Nun hat der andere auch eine Kugel abgekriegt und Heinrich meint, daß sie ihn nun gesund pflegen, um ihn dann auf den elektrischen Stuhl zu setzen. Warum also nicht gleich…?
Peters hat einen guten Tod gehabt. In der Nacht, ganz leise und unauffällig, ist er gegangen. Seine Frau wollte ihn am Morgen wecken, öffnete die Tür und da lag er ganz still. Sie war eigentlich gar nicht überrascht, nur traurig. Dann hat sie den Pastor angerufen und sich auf einen Stuhl neben das Bett gesetzt. Irgend wann kam der Arzt und die Männer vom Bestattungsinstitut. Dann haben sie ihn weggeholt. Als der Pastor kam, saß sie immer noch da. Sie hat wohl auch mitgebetet, aber eigentlich wußte sie gar nicht genau warum. Der Alte war ja nun nicht mehr und außerdem schon weg.
Heute wurde Peters begraben. Er war beliebt. Sein Sarg steht offen in der Kirche, der Deckel auf ein paar Böcken daneben. An den Holzböcken sind zwei, drei Farbflecken. Da werden wohl nicht nur Sargdeckel drauf abgelegt. Die meisten gehen noch einmal nach vorne und sehen sich die Leiche an. Wo sie nur diesen schwarzen Anzug für Peters her haben? Niemand kann sich daran erinnern, ihn jemals so gesehen zu haben. Nicht mal an Weihnachten.
Unauffällig noch zwei Münzen in den Sarg gleiten lassen. Für den Fährmann. Man weiß ja nie… Ich bin offenbar nicht der Einzige, der es tut und als sie den Sarg schließlich hinaustragen, klimpert es. Niemand verzieht eine Miene außer der Pastorschen, die die Predigt gehalten hatte. Was versteht die schon davon.
Ein Trauerzug in der strahlende Sonne des Frühlings. Die drei Jungs an der Pforte zum Friedhof sind von ihren Fahrrädern abgestiegen und linsen neugierig zum Sarg. Wie so eine Leiche wohl aussieht? Man sieht das ja sonst nur im Fernsehen und da auch nur ganz kurz. Aber den toten Peters hätten sie sich dann doch gerne mal angesehen. Sein faltiges Gesicht mit dem leicht geöffneten Unterkiefer. Seine Frau hätte ihm den mit einem Bindfaden zubinden sollen, dann würde er jetzt nicht offen stehen. Aber daran hat sie nicht gedacht, weil sie so traurig war.
Der Sarg gleitet leise klingelnd in die Grube, der Fährmann streckt seine Knochenhand aus. Ein gutes Fährgeld für den alten Peters an diesem Morgen. Es ist Frühling. Da sterben die Alten.
Wie die Fliegen.
Neueste Kommentare
- DasKleineTeilchen bei Presseschredder 20.2.2021
- Pantoufle bei Presseschredder 20.2.2021
- DasKleineTeilchen bei Presseschredder 20.2.2021
- Siewurdengelesen bei WTCP-S
- Pantoufle bei WTCP-S
- Siewurdengelesen bei Presseschredder 20.2.2021
Was sonst noch so war
Noora Naraghi
Iranische Frauen dürfen keinen Motorradführerschein besitzen. Noora Naraghi ist Motocrossfahrerin. Eine Reportage von Bahar Gholipour auf zeit.de.Blogroll
- 1-euro-blog
- Annika
- clockworker
- daMax
- Dame von Welt
- der Emil
- Die Schlandrätin
- Doctors Gedanken
- Fädenrisse
- Feynsinn
- fliegende Bretter
- Genuß ist Notwehr
- gnaddrig ad libitum
- Hogesatzbau
- Ken Shirriff's blog
- kiezschreiber
- Klaus Baum
- Lavendel und Annika
- Lower class magazin
- Mitzi Irsaj
- Mundwinkel
- Nömix
- palpitationen
- S-Team-Art
- Studio Glumm
- sunflower22a
- Teestübchen Trithemius
- Tikerscherk
- was weg muß
Auch interessante Links
Old Fart meint:
»Die Neuauflage von „Krieg dem Kriege“ durch die BPB ist empfehlenswert. Die Bilder sind wie erhofft durchweg besser als bei der Ausgabe vom 2001-Verlag damals. Eine sehr gelungene Druckreproduktion des Originals.
Es gibt zusätzlich noch ein bißchen Vorwort, historische Kontextbeleuchtung und etwas zur Vita von Ernst Friedrich im Vorspann. Die Bestellung dauert etwas, aber dafür sind die versandkostenfreien 4,50 Euro für ein Einzelexemplar auch wirklich günstig.
Zugreifen! Das Werk verdient es und die Neuauflage ist gelungen.Für die Autisten des Internets
Das kleine Trollhandbuch. Für all diejenigen, für die es keine Meinungen, sondern nur Wahrheiten gibt. Schade, daß sie des Lesens und Schreibens unkundig sind. Den anderen sei es als kurzweilige Lektüre ans Herz gelegt.
Demokratie ist zutiefst undemokratisch
Und einen passenden taz-Beitrag gibt es auch dazu
Schlagwörter
- AFD
- Benzin
- Berlin
- Blogs
- Bundeswehr
- CDU
- Corona
- die LINKE
- Die PARTEI
- Donald Trump
- Erdogan
- FAZ
- FDP
- Gedicht am Dienstag
- Geschichten
- Hamburg
- Hifi
- Krieg
- Kurz und dreckig
- le Pen
- Merkel
- Nazis
- Nikon
- NSA
- NSU
- Pegida
- Photographie
- Presseschredder
- Putin
- Rock&Roll
- Rockn&ROll
- Sigmar Gabriel
- Snowden
- SPD
- Syrien
- Terror
- Trump
- Türkei
- Ursula von der Leyen
- USA
- Vermischtes
- Vollidioten
- Vorratsdatenspeicherung
- Wahl
- Westerwelle
-
PGP Key hier
Ja, so ist es, das Leben. Der Frühling belebt die Natur und die Menschen, die leben (wollen/können). Jedenfalls geht es mir zunehmend so. Und auch der Tod gehört zum Leben, nicht immer im Herbst oder Winter. Alles ist miteinander verwoben, wenn auch nicht immer so, wie man es sich vielleicht wünscht. Das “Alte” macht dem “Neuen” Platz – Kreislauf der Natur und unserer. Wiedermal ein sehr schöner Text: poetisch, melancholisch ohne sentimal zu sein, leise und unaufgeregt.
Liebe Grüße
Cora
Moin, Cora
Ach, dank für die Blumen. Die Ratlosigkeit führte die Feder – was soll man zu diesem ganzen Quatsch eigentlich noch schreiben? Von Boston zu Hoeneß, von der Leyen zu NPD-Verbot. Es ist ein Gräuel und ein Scheuel.
Außerdem habe ich keine Zeit: Ich arbeite. Also arbeiten mit den Händen und Blut und Seele. Da muß ich manchmal machen, um die Stromrechnung zu bezahlen.
Im Übrigen ist Frühling. Siehe oben. Es wird erheblich mehr gelächelt als noch vor kurzem und ich gestehe, daß ich das sehr genieße – Internet und Blogs sind bestenfalls das Zweitwichtigste im Leben.
Und was soll ich sagen: Am Freitag ist Richtfest: Das erste Mal, das ich mit auf dem Dach stehe mit einem Schnaps in der Hand – in weißem Hemd und schwarzer Hose.
Uli Hoeneß? Wer ist das und Boston ist weit weg.
Mal sehen… vielleicht mal was über Verbrennungs-Motoren schreiben 🙂
Ja, wir leben und geniessen die wenigen Nischen, die uns der gewinnoptimierende Kapitalismus noch lässt. Der Waldspaziergang, dass Werkeln im Garten, so man denn zu den Privilegierten gehört, die ein wenig Boden besitzen um dort Samen einzupflanzen.
Doch, Obacht: Die EU schläft nicht – angetrieben von Konzernen wie Monsanto, die auch noch die letzten Nischen der Wachstumsverheißung verwertbar machen wollen:
http://deutsche-wirtschafts-nachrichten.de/2013/04/23/eu-will-anbau-von-obst-und-gemuese-in-gaerten-verbieten/
Macht Dich das auch so unsagbar wütend wie mich?
Der Versuch, natürliche Prozesse den Gesetzen des Kommerzes unterzuordnen?
Ich bin so unsagbar zornig, wütend deswegen!
Selbst der Samen, die natürliche Vielfalt, soll Kapitalinteressen untergeordnet und unterworfen werden! Im Sinne von Patentinhabern natürlicher Ressourcen!
Ist vielleicht ein wenig OT, aber ich würde Dich gerne an meiner Seite wissen, gegen diesen perversen Scheiß anzugehen…
Grüße, Dude