»In Ungarn wäre das nicht möglich, dass in Kinderprogrammen Lügen und unwahre Fakten verbreitet würden. Wenn das im ungarischen Fernsehen geschähe, würden die Verantwortlichen sofort rausfliegen. Kinder seien nicht dazu da, um sie politischer Gehirnwäsche auszusetzen, auch die deutschen Kinder nicht«
Viktor Orbán, ungarischer Ministerpräsident
Was war geschehen? In der Ki.Ka. – Sendung Logo hatte man äußerst kindgerecht auf Probleme in Ungarn in Bezug auf Pressefreiheit und der faktischen Abschaffung des Verfassungsgerichts aufmerksam gemacht. Sehr lobenswert, wie die Redaktion der Schrottpresse an dieser Stelle anmerken möchte.
Daß Redakteure in Ungarn beim Verbreiten kritischer Berichterstattung nicht nur »rausfliegen«, sondern im schlimmsten Fall auch mit Gefängnis oder physischer Gewalt rechnen müssen, ist bekannt – war aber leider nicht Gegenstand der Sendung. Es ist auch bekannt, daß die Proteste gegen die Änderung der Verfassung in der letzten Zeit im Fernsehen nicht gezeigt werden durften. Es herrscht Ruhe im Land – jedenfalls, sobald man den Fernseher einschaltet.
Wie Tagesschau.de berichtet, hat das ungarische Außenministerium bei der Deutschen Botschaft in Budapest (danke, Emil) eine Protestnote eingereicht. Wegen einer Kindersendung. Wegen einer Kindersendung, die sich ausdrücklich an die Kleineren wendet und deren Botschaft dementsprechend verhalten ausfiel. Was passiert eigentlich, wenn man öffentlich etwas gegen die neofaschistischen Schlägerbanden der Jobbik schreibt, ihre bewaffneten Ausschreitungen gegen ethnische Minderheiten oder die massiven Versuche von Beeinflussung ausländischer Presseorgane?
Angeblich ist die Tendenz zum offenen Faschismus in Ungarn in Brüssel zur Chefsache erklärt worden. Es gilt, die letzten Änderungen der Verfassung auf Übereinstimmung mit EU-Richtlinien zu überprüfen – ein Vorgang, der bekanntermaßen einige Zeit in Anspruch nimmt. Viel Zeit dafür ist allerdings nicht: Schon am 30. April soll es die fünfte Verfassungsnovelle geben. Darin steht unter anderem die Aufhebung des Gesetzes über das Verbot verfassungsfeindlicher Symbole wie rote Sterne, SS-Runen, Haken- und Pfeilkreuze (das Symbol Ungarischer Faschisten) ebenso wie die des Paragraphen, der Holocaustleugnung unter Strafe stellt – angeblich beeinträchtigt es die Meinungsfreiheit. Wenigstens das Tragen von Pfeilkreuzen in öffentlichen Räumen ist an der Tagesordnung; es straffrei zu machen daher nur konsequent.
Ein Hinweis darauf hätte der Kindersendung »Logo« noch einen braunen Farbtupfer mehr gegeben. Daß man aus außenpolitischen Rücksichtnahmen darauf verzichtete, ist anerkennenswert. Oder waren es andere Gründe?
Korrespondenten deutscher und österreichischer Medien berichten von E-Mail-Kampagnen, ungarische Botschafter schreiten ein bei unliebsamer Berichterstattung, ungarische Lobby-Verbände in Deutschland machen Druck auf Rundfunkgremien. Der ORF-Korrespondent in Budapest wurde sogar mit privaten E-Mails konfrontiert, die ungarische Behörden offenbar gezielt abgefangen hatten.
Tagesschau.de
Abgefangene private E-Mails und »konfrontiert«: Das nennt man dann wohl Erpressung.
Bei den letzten »Meinungsumfragen« kommt die Regierungskoalition wiederum auf eine absolute Mehrheit, allerdings bei einer Wahlbeteiligung von knapp mehr als 50%. Damit sich dieses Ergebnis erst einmal nicht verschlechtert, hat die Regierung die Energiepreise drastisch gesenkt, was ihr mindestens bei den eigen Anhängern Sympathien sichert. Die Ergebnisse der Umfragen sind bei der Opposition umstritten, manche vermuten massive Fälschungen der Ergebnisse. Eine funktionsfähige oder auch nur halbwegs geeinte Opposition in Ungarn existiert allerdings nicht mehr. Allein diese Tatsache und die fast unbeschränkten Möglichkeiten der herrschenden ungarischen Regierung, Wahlen nach ihrem Willen zu beeinflussen und Oppositionelle faktisch mundtot zu machen, haben Ungarn aus dem Kreis der Demokratien ausgeschlossen.
Die nächste Wahl des Parlaments findet 2014 statt. Es braucht nicht das rasende Tempo der vergangenen Monate beim Abbau demokratischer Rechte, um deren Ergebnis vergleichbar mit der jeder denkbaren Bananenrepublik zu machen.
Viktor Orbán echauffierte sich über eine Kindersendung vor den Mikrophonen der Presse: Seine Selbstbeherrschung reichte gerade noch, um die Formulierung »erschießen« zu verhindern. Es bleibt abzuwarten, ob es nach den nächsten Wahlen noch dieser Contenance bedarf.
Und immer die gleichen Links, da in bundesrepublikanischen Medien kaum kritische Berichterstattung über Ungarn stattfindet:
Pusztaranger
Pesterlloyd
jungle-world
… und zur feier des Tages einmal Tagesschau.de – bevor er verschwunden ist…
Haben die Ungarn wirklich in Bukarest sich beschwert?
Moin Emil
Ja, in der dortigen deutschen Botschaft, wenn ich die Reuters-Meldung richtig verstanden habe 🙂
Die Ungarn haben sich in BULGARIEN beschwert? Oder hat Reuters geschlampt?
Aua
🙂
Nein: Ich!
Ja, soweit waren wir bereits.
Das nächste Mal werde ich einfach alles copy&pasten. Alles.
P.S. Noch irgend etwas zum Thema?
Ja es ist Wahr!
Ich bemerkte es schon einmal: Jeden Sonntag ein Skype-Gespräch mit einem Ungarn (der wohnt übrigens in Budapest 🙂 ). Die Mitteilung, dass die EU jetzt aber mal so etwas von prüft, stößt dort inzwischen auf Resignation. Viele kritische Geister denken ernsthaft an Flucht ins Ausland.
Moin Jürgen
Die sollen abhauen! Das hatten wir alles schon einmal. Ab nach Bukarest oder anderswohin. Orban macht keine Witze – der meint das toternst. Entweder, da passiert jetzt von Seiten der EU ganz, ganz schnell etwas – und zwar vor der 5. Verfassungsnovelle am 30. April – oder der Zug ist bis auf weiteres abgefahren.
Wie klassisch soll ein Fall von angestrebter Alleinherrschaft noch dargestellt werden? Orban handelt nach dem Lehrbuch »Diktator auf Lebenszeit – leichtgemacht!«; mit allem was dazugehört. Und wehe, die EU schmeißt Ungarn aus der EU – alternativ: Orban entschließt sich zu einem Solo. Da möchte ich aber nicht Roma, Jude, Intellektueller oder auch nur ein klein wenig Oppositioneller in Ungarn sein.
Das Thema geht mir irgendwie mächtig an die Nieren.
Gruß
Pantoufle
Einverstanden!
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